Die Initiative "Kulturlandschaft erhalten" hatte im Rahmen der bundesweiten Kampagne Urinale zu einer Info-Veranstaltung über Glyphosat eingeladen. Hintergrund ist die Entscheidung über eine Neuzulassung des umstrittenen Breitbandherbizides in der EU-Landwirtschaft. Am vergangenen Samstag diskutierten  etwa 35 Leute im Gemeindehaus in Gertenbach über Für und Wider von Pestiziden.

Dem ausführlichen Referat über die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, speziell dem Einsatz von Glyphosat, von Sandra Nickels (Öko-Kontrollstelle Agreco/Gertenbach) folgte ein Vortrag von Günther Kellner, einem ortsansässigen konventionellen Landwirt. Er erklärte die verschiedenen Varianten der Bodenbearbeitung - mit und ohne Pflug. So werde der Boden durch Stoppelbearbeitung mehr belüftet. Mit konservierender, nicht wendender Bodenbearbeitung mit Mulchsaat solle vor allem Erosion vermieden werden. Durch eine reduzierte Bodenbearbeitung  bleibe der Aufwuchs erhalten, die organische Substanz im Oberboden werde auf über 2 % angehoben, die Mikroorganismen verdoppelt, die Masse der Regenwürmer sogar verdreifacht. Allerdings sei die phytosanitäre Wirkung gering. Das Problem sei der dadurch wachsende Unkrautdruck.

Seit Mitte der 1970er Jahre verwenden konventionelle Landwirte ein Herbizid mit dem Wirkstoff Glyphosat, um das Unkraut, vor allem Quecken, in den Griff zu bekommen. Günther Kellner berief sich auf die Anwendung von Glyphosat unter "guter fachlicher Praxis". Es sei ihm nicht bekannt, dass Glyphosat in der Region vor der zur Sikkation eingesetzt werde. Eingesetzt werde das Mittel allerdings zur Stoppelbearbeitung und nach Raps.

Er sieht allerdings eine rechtliche Grauzone darin, dass man die Präparate im Internet kaufen kann unter der Vorgabe, man sei "sachkundig". Glyphosat sei von der WHO in einer von drei  Gruppen: "möglicherweise karzinogen" eingestuft worden, also etwa auf einer Stufe mit Kaffee oder Amalgam.

Dies wurde im Anschluss kontrovers diskutiert: So könne sich schließlich jeder aussuchen, ob er Kaffee trinken oder Zigaretten rauchen will. Doch wenn Gifte im Wasser infiltriert sind, hat der "Verbraucher" keine Wahl mehr. Hier gelte das Verursacherprinzip. Das sei ein entscheidender Unterschied.

Zur industriellen Landwirtschaft im Allgemeinen kamen weitere Fragen auf: Wo bleiben die überdimensionierte Nährstoffmengen, die über Soja nach Europa importiert werden? Zur Lebensmittelverschwendung: Brauchen wir die Massen an Lebensmitteln, die unter dem massiven Einsatz von Chemikalien und Mineraldüngung hergestellt werden? Und was den Öko-Landbau angeht, so gebe es auch hier verschiedene Anbausysteme, die unterschiedliche Erträge erbringen.

Die Diskussion wurde im Anschluss in persönlichen Gesprächen fortgesetzt, während sich die Teilnehmer an Bio-Eintopf und Salaten der Volksküche gütlich taten und Apfelsaft von selbst gesammelten Äpfeln von Transition Town Witzenhausen tranken. Einige machten auch von der Möglichkeit Gebrauch, den eigenen Urin auf Glyphosat im Labor testen zu lassen. Hierzu konnte man ein Plastik-Röhrchen mit nach Hause nehmen, um es in einem eigens vorbereiteten Briefumschlag befüllt ans zuständige Labor zu senden.

Zum Ausklang sah ein interessierte, kleine Runde die Doku "Tote Tiere - kranke Menschen", die Glyphosat in Futtermitteln als Ursache für Rinderbotulismus sowie für häufig auftretende Missbildungen bei Ferkeln anprangert. Ein sichtbares Gesundheitsproblem gibt es inzwischen in Argentinien: Hier führen Ärzte die zunehmenden Missbildungen bei Kindern, die in der Nähe von Sojafeldern leben, auf den flächendeckenden Einsatz von Glyphosat mit Flugzeugen zurück.

Der Abend sollte dazu anregen, sich kritisch mit dem Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft auseinanderzusetzen. Weitere Veranstaltungen zum Thema sind angedacht.

Susanne Aigner

 

Bilder: Susanne Aigner (prefix 100_) und Gualter Baptista CC-By-SA 4.0 Int (prefix img_)